Wildwuchs feiert in diesem Jahr das 20-jährige Jubiläum. Das Programm ist unglaublich vielfältig. Eine Veranstaltung hat mich besonders angesprochen: Basel Stills, Die Künstlerin Pia Dolce unterwegs mit dem weissen Stock. 

Selina Meier

Das Wildwuchs Festival beinhaltet zehn Tage lang Theater-, Tanz, Performance, Zirkus, Akrobatik, Musik, Spaziergänge und anderes. Der Audiowalk, einer der Programmpunkte, hat mich sehr angesprochen. So bin ich trotz Regen und Wind zur Musikakademie Basel spaziert, wo dieser beginnt. Und es hat sich auf jeden Fall gelohnt.

In „Basel Stills“ kann ein Training für blinde Menschen mitverfolgt werden. Die Künstlerin Pina Dolce nimmt die Hörenden mit auf den Weg von der Tramhaltestelle Musikakademie zu der Hörberatung am Nadelberg 13. Sie lernt in diesem Training eine neue Strecke und wird von ihrem Orientierungs- und Mobilitätstrainer Marcel Studer eingeführt. Dass Gerüche, Wind-Änderungen oder Akustisches wichtige Ereignisse auf dem Weg sind, wir im Audiowalk deutlich. Wildwuchs empfiehlt sehnenden HörerInnen den Weg mit offenen Augen zu gehen, so wird deutlich, wie verschieden ein Weg sein kann. Der Audiowalk ist noch bis zum 6. Juni 2021 22 Uhr streambar. Der Audiowalk dauert rund 50 Minuten und kann dank dem Link zu Soundcloud jederzeit individuell durchgeführt werden (Sprache: Schweizerdeutsch). 


Die Wahrnehmung der Umgebung

Wir sind an der Musikakademie gestartet, den Leonhardsgraben entlang bis zur Passage vorbei an hervorstehendem „Gestrüp“ sowie an verschiedenen Öffnungen (Eingänge zu Gärten von verschiedenen Liegenschaften).

Eingänge zu Gärten von verschiedenen Liegenschaften

Nach der Überquerung des Heubergs, bei dem es leicht nach unten geht, haben wir uns dann am Spalenberg und nach einem letzten Abbiegen am Nadelberg, wo auch das Endziel die Hörberatung am Nadelberg 13 war, befunden. Diesen Weg üben die Beiden, damit Dolce diesen in der Zukunft alleine bewältigen kann. Im ersten Moment scheint der Weg leicht zu bewältigen, doch dies muss nicht unbedingt für alle Menschen so sein. Auf dem Weg befinden sich nämlich verschiedene Neigungen, Blumentöpfe, abgestellte Fahrräder, Kleiderständer und vieles weiteres. Für Menschen mit einer Sehbehinderung braucht es dafür ein Training und solch eines begleiten zu dürfen, kann als wahre Bereicherung für die eigene Wahrnehmung gelten. Das Label Wildwuchs steht für Menschen, die sonst wenig gehört oder gesehen werden und deren Themen keinen Raum in gesellschaftlichen Diskussionen finden. Mit dem Audiowalk ermöglichen sie, dass über den eigenen Tellerrand hinweg gesehen werden kann und Erfahrungen von Menschen wahrgenommen werden, über die man vielleicht bisher nicht viel nachgedacht hat. Es war sehr interessant, auf was sie aufmerksam wurde, was sie gehört hat und welche Hinweise Dolce von Studer bekam.

Die Rundung hilft zur Orientierung.
Angekommen am Ziel: Die beiden Blumentöpfe sowie der Teppich helfen der Orientierung.

Am Ende des Audiowalks gibt es noch ein Gespräch zwischen Dolce und Susanne Affolter zu hören. Affolter konzipiert Hör-Spatziergänge mit KünstlerInnen. Dabei gehen sie auf den Werdegang von Dolce, ihre Ängste und ihre künstlerische Tätigkeit ein. Darüber möchte ich jetzt aber nicht zu viel verraten: Hören Sie lieber selber!

Für mich war dieser Audiowalk eine sehr spannende Erfahrung und auch ziemlich einzigartig. Da es häufig scheint, dass beim durch die Stadt gehen vieles vergessen geht und nicht wahrgenommen wird. Interessanterweise sind mir Dinge aufgefallen, auch visuell, die ich bisher noch nie gesehen habe, obwohl ich diesen Weg schon mehr als nur einmal gegangen bin. Sehr lehrreich war auch, dass man im Ohr Dolce und Studer sowie die Bewegung des Stocks hörte und zudem trotzdem die eigene Wahrnehmung mit den Augen als Ergänzung registrierte. Wie Dolce sagt, sieht sie die Welt mehr mit Füssen und der Nase. Als der Weg beispielsweise an einem Schuhmacher vorbei geeführt hat, hat sie dies sofort bemerkt. Der Audiowalk ist noch bis zum 6. Juni 2021 um 22 Uhr streambar. Diese Möglichkeit sollten Sie sich nicht entgehen lassen! 



Biografien

Pina Dolce

Pina Dolce ist Beraterin von Kunstvermittlung in Museen und ausgebildete Masseurin. Sie ist mit 15 Jahren erblindet und malt seit jungen Jahren. Es ist für sie ein nicht wegzudenkendes Bedürfnis, ihr Leben in Farben und Strukturen festzuhalten.

Susanne Affolter

Susanne Affolter konzipiert Hör-Spaziergänge mit Künstler:innen, die in ihren Texten einen eigenen, fiktiven oder dokumentarischen Blick auf Quartiere in ihren Wohnorten werfen. Die Künstler:innen gehen den Walk ab und der von ihnen gesprochene Text wird mit den Umgebungs-Geräuschen 1:1 live aufgenommen. Für die Hörer:innen, die dem Spaziergang folgen, werden sich die Geräusche der Aufnahmen mit denen mischen, die sie gerade selber erleben. Mit zusätzlich musikalischen Interventionen unterstützt oder überzeichnet Affolter Situationen, die es vielleicht gibt, gegeben hat oder geben könnte und die Hörer:innen versinken in ein Konzentrat von Geschichten und Geräuschen.

Quelle (auch für Titelbild): wildwuchs.ch