Lateinisch heisst die Christrose helleborus und übersetzt «verrückte Blume».

Gastbeitrag von Christa Widmer

Ja, wieso ist die Blume denn so ver-rückt? Das fragte ich mich, die Antwort lege ich mir wie folgt zurecht.

Das kommt wohl daher, dass sie im Winter blüht. Also ist es nur richtig, im Frühling, Sommer und allenfalls noch im Herbst zu blühen, aber sicher nicht im Winter.


Ich bin so froh und dankbar, dass es diese ver-rückte Blume gibt. Sie blüht jedes Jahr in meinem Blumenkistchen auf dem Fensterbrett, und ich habe meine helle Freude daran, wie sie sich im weissen Kleid unbeirrt präsentiert. Stolz und klar. Schön. Einfach schön.

Anspruchslose Schönheit

Es fasziniert mich, wie Schönheit so anspruchslos sein kann: Die Christrose trotzt der Kälte UND der Trockenheit. Aber: Falls es ihr mal ZU trocken wird, meldet sie ihr Bedürfnis nach Wasser an, und lässt einfach den Kopf hängen. So gibt sie mir noch eine Chance, denn sobald ich ihr Wasser gebe, streckt und reckt sie sich und verzeiht mir damit meine Nachlässigkeit.
Sie ist also nicht nur schön, sondern auch tolerant und grosszügig. Sie hat einen ECHTEN Stolz.

Es gibt eine wunderschöne Legende von Selma Lagerlöff. Da blühten vor langer Zeit viele bunten Blumen unter dem Schnee an einer gewissen Stelle im Wald. Einer Räubersfrau mit fünf Kindern offenbarte sich diese Blumenwiese jedes Jahr um Weihnachten. Leider wollte ein Gärtners Laienbruder wissen, woher die schönen Blumen kommen, mitten im Winter. Die Räubersfrau führte ihn dort hin. Und dieser erschrak ob so viel Schönheit und rief: „Zeuch du zur Hölle, von dannen du kommst.“ So verschwand das bunte Blumenwunder für immer. Aber: Die Christrose, die blühte und blüht weiter für die Räubersfrau und verbreitete sich für uns. (Sehr verkürzt erzählt.)

Also ist die verrückte Blume auch treu und unerschrocken und zäh.

Im Blumenladen erklärte mir die Floristin, es daure vier Jahre, bis sich diese Blume vom Samen zur vollen Blüte entwickelt hat.
Also gibt sie sich Zeit, viel Zeit.
Sie ist also auch klug und wissend.

Jetzt gerade strahlt sie in der Wintersonne so licht und klar, so rein und schön, so selbstverständlich und filigran:
Sie ist auch unglaublich zart und fein.
Voll Hingabe schöpft sie das Licht und die Wärme der Sonne: Sie kann nicht nur geben, sie kann auch nehmen. Sie ist auch weise.
Eine unglaubliche Blume. Ich liebe sie.

Und: Ich liebe auch Menschen, die so unbeirrt durchs Leben gehen, egal, was als „richtig“ oder „verrückt“ eingeteilt wird.

Titelbild: PIxabay.