Nun ist die wahre Spukzeit der Nacht, wo Grüfte gähnen und die Hölle selbst
Pest haucht in diese Welt. Nun tränk ich wohl heiss Blut […].
(William Shakespeare, Hamlet)

Selina Meier

In Fantasy-Filmen, Fernsehserien und der Literatur des 21. Jahrhunderts werden Wesen wie Vampire, Hexen oder Werwölfe häufig als Motiv verwendet. Man könnte diese Wesen als Kreaturen bezeichnen, die sich die Nacht herbeiwünschen. Wenn nicht Nacht wäre, könnten sie nicht ihre wahre Gestalt annehmen. In der neuen Verfilmung von Sabrina – Total Verhext (neu: Chilling Adventures of Sabrina (2019)), basiert im Ursprung auf einer Comic-Reihe, dreht es sich um das Leben einer jungen Hexe, welche Mitglied der Kirche der Nacht ist. Es gibt die Kirche des Tages, wo man Gott dient und jene der Nacht, in der man Satan dient. Die Nacht kann nicht ohne Tag sein, dies ist in dieser Fantasy-Reihe ebenfalls der Fall. In verschiedenen Jugend Fantasy-Fernsehserien, Filmen und Bücher, werden diese aber nicht nur alleine thematisiert. Sondern in Verbindung mit Werwölfen, Hexen und anderen magisch-mythischen Kreaturen in Verbindung gebracht. Shadowhunters (basierend auf der Reihe von Cassandra Clare Chroniken der Unterwelt), Chilling Adventures of Sabrina (oben schon genannt), Vampire Diaries (basierend auf der Buchreihe von Lisa Jane Smith), SupernaturalAddams Familiy, Bis(s) zum Morgengrauen von Stephenie Meyer oder Chronik der Vampire von Anne Rice sind nur eine Auswahl von bekannten Titeln. Die Liste könnte aber noch länger weitergeführt und ergänzt werden. Hierbei stellt sich die Frage, wieso die Nacht in solchen Medien eine grosse Rolle spielt und wieso das Übernatürliche häufig erst mit der Dunkelheit, also der Nacht, zum Vorschein kommt. Ist der Tag dafür nicht gut genug? Was macht die Nacht so speziell und gefährlich? Wieso wird die Nacht überhaupt für mythische Wesen, wie Hexen und Vampire gerne gewählt. Ist die Nacht so furchteinflössend und dunkel? Die Gegensätze ziehen sich scheinbar an. Aber warum wirkt es so, als ob der Mensch seiner Fantasie in der Nacht freien Lauf lassen kann und am Tag gehemmt wirkt? Warum sind die Schattenwesen nicht solche der Sonne zugeneigt, sondern dem Mond? Was haben Träume oder gar Albträume damit zu tun? Auf diese Fragen wird in folgenden Abschnitten versucht, mögliche Antworten, Erklärungen und Gedanken zu liefern. Wichtig ist es dabei zu berücksichtigen, dass es diese Wesen „wahrscheinlich“ nicht gibt, welche hier im Fokus stehen. Sie sind Erfindungen oder Vorstellungen von Menschen. Denn die Wesen sind nicht von Gott bestimmt so zu wandeln, die Autoren müssen einen Grund dafür gehabt haben. Wie beispielsweise Vampire als Sonnenscheu zu charakterisieren. Mit Nacht ist hier jeweils die Zeit der Dunkelheit zwischen Sonnenuntergang und Aufgang gemeint.


Vampire sind unter uns

Vampire leben und existieren schon immer unter den Menschen. Dies meist in Form von literarischen Werken oder Ähnlichem. Sie sind faszinierenden Kreaturen der Nacht. Die Kinder der Nacht, wie sie teilweise genannt werden, stehen oft in Verbindung zur Unterwelt und der Hölle, welche Angst und Leiden mit sich bringen. Schon Hesioth und Homer thematisierten dies. Beide gingen aber von verschiedenen Aspekten an die Geschichte heran. Bei vielen Geschichten über Vampire ist nicht genau klar, ob auf mündliche Erzählungen zurückgegriffen wird. Teilweise wird auch versucht etwas über die historischen Vampire in Erfahrung zu bringen. Dies beginnt bei dem „Mythos“ von Dracula.

Der britische Schriftsteller Tony Throne reiht in seinem Buch Kinder der Nacht eine Reihe von Gegenüberstellungen auf, welche die Vampire mit sich bringen. Er glaubt, sie bringen unterschiedliche Reaktion auf Menschen, welche sich innerhalb der Jahrhunderte verändert haben. Zudem hat das Alter des Rezipienten eine Auswirkung darauf, wie fasziniert dieses Schattenwesen sein kann. Dazu kommt die Tatsache, ob man jeweils auch nur eine Spur an solche Wesen glaubt oder, ob man sich einfach mit der Frage beschäftigen möchte, warum es diesen Mythos gibt und welche Charaktereigenschaften diesen Wesen zugeschrieben werden?

Die grossen Themen, welche häufig auftauchen, wenn man sich mit dem Vampirismus beschäftigt sind die Unsterblichkeit, Verdammung und die Erlösung. Am bekanntesten ist der Vampir in Verbindung mit einer Fledermaus und dem Mythos des Grafen Draculas. Doch handelt es sich hierbei um viel mehr als nur einen viktorianischen Schurken. Wenn man die Literaturgeschichte betrachtet, dann ist der Vampir ein Geschöpf von Europa, aber auch in Kulturkreisen Mittelamerikas, Westafrikas und Südostasiens bekannt. So lässt sich darauf schliessen, dass der Vampirglaube ein sehr altes Konstrukt darstellt, welches aber sein Ende nicht in dem Aberglauben findet. In der Postmoderne ist er durchaus noch präsenter, gerade in Fantasy Geschichten. Sei dies in Form eines Romans, Comics, Fernsehserie oder (Kino-)Filmes.

Zudem gibt es sogar eine Krankheit, bei welcher der Mensch unter ähnlichen Symptomen leidet, wie den zugeschriebenen Charakteristiken eines Vampirs. Die Krankheit nennt man Porphyre. Diese hat zur Folge, dass man extrem lichtempfindlich wird, und wenn die Haut auf Licht oder Sonne trifft, kann dies zu Haut- und Gewebeschäden führen. Diese Krankheit ist unheilbar und vererbbar. Möglicherweise entstand hier der Aberglaube, rund um den Vampir. Dies ist aber nicht definitiv belegbar. Zudem beantwortet dieser Zusammenhang noch nicht die Frage, was der Mythos mit der Nacht zu tun hat. Hierbei wird eher ersichtlich, dass der Vampir schon über mehrere Jahrhunderte in verschiedensten Zusammenhängen auf den Menschen trifft.


Das Geschlecht der Vampire

Gibt es Unterschiede in den Darstellungen, ob ein Vampir männlich oder weiblich ist und wie alt er wirklich ist? Die Unsterblichkeit des Wesens spielt hier eine wesentliche Rolle. Sie sind tot aber wie lange schon? Das weit verbreitete Bild über die Geschlechterverteilung macht die Männer zu den bösartigen Wesen und die Frauen wiederum zu den Opfern. Dies war aber nicht immer so. In frühen Artefakten und Inschriften der alten, vorderasiatischen Kulturen, wie den Assyrern, den Akkadiern, den Sumerern und den Babylonier finden sich viele Hinweise über sterbliche, weibliche Blutsauger. Meist handelt es sich bei diesen Schriften um Gebete von verängstigten Menschen, welche damit die schrecklichen Gestalten fernhalten wollten:

„Sie wüten gegen die Menschen, Lassen das Blut der Sterblichen fliessen wie den Regen, verschlingen ihr Fleisch, Saugen ihre Adern aus, Sie sind grausame Dämonen, Trinken das Blut ohne Ende, Bringt den Fluch auf sie herab, Auf dass sie nie an diesen Ort zurückkehren mögen, Im Namen des Himmels seit ihr verflucht, Im Namen der Erde seid ihr verflucht“.

Es gilt festzuhalten, dass die uralten dämonischen Wesen von den alten Erzählungen meist weiblich sind. Vieles lässt sich auf Lilith schliessen. Die Klagende, Meyalleleth (eben auch Lilith genannt), war Adams erste Frau und eine Art Göttin.
Die Darstellung von weiblichen Vampiren hatte im 20. Jahrhundert mehr etwas Erhabenes und teilweise gar etwas Lächerliches. Oft blieben die blutsaugenden Frauen mehr ein Nebenprodukt männlicher Phantasien. In einer Geschichte über eine Gräfin von 1614 wird erwähnt, dass sie für ihre spezielle Vorliebe berüchtigt war, nämlich dass sie im Blut ihrer Opfer badete. Allem Anschein nach, war sie ein äusserst blutrünstiger, weiblicher Vampir.

Von der Literatur zum Gemälde 

Unsere Ansicht ist daher eher relativ verzerrt, denn die Vorstellung eines Vampirs beruht trotzdem immer noch auf der männlichen Version, dem mittelalterlichen Grafen Dracula. Auf die Literatur folgte die Darstellung in Gemälden. So fertigte beispielsweise Philip Burne-Jones, um 1890, ein Ölgemälde an , auf dem ein weiblicher Vampir und deren männliches Opfer zu sehen sind. Wo der Mythos seinen Ursprung hat, kann nicht geklärt werden. Es ist aber durchaus denkbar, dass er ein Teil prähistorischer Vorstellungen ist.

Unser einziger Anhaltspunkt bleibt die Sprache. Die Bezeichnung Vampir wurde in einem Schriftstück von Serbien im 15. Jahrhunderts erstmals entdeckt. Doch die damit in Verbindung stehenden Wörter, wie upir sind schon viel älter. Upir oder auch Upyrwurde im 11. Jahrhundert als Spitz- oder Beiname für einen russischen Prinzen verwendet. Dieser wurde Upyr‘ Likhyj(schlechter Vampir) genannt, deswegen ist es in den russischen Chroniken der Jahre 1047 und 1059 zu finden. Eine veraltete Form von dem heutigen Vampir ist auch Vampyr, was sich hier sehr gut nachvollziehen lässt. Ein Vampir beschreibt nicht in jedem Fall ausschliesslich einen Vampir, um welchen es zuvor ging. Es kann auch einfach die Bezeichnung sein für eine nichtmenschliche Gestalt, wie einen Dämon oder eine Bezeichnung für ein Tier, wie die Fledermaus, sein. Für die russische Bevölkerung war ein upyr um 1880 aber eine Art Zauberer, welchem das Nasenbein fehlte.

Präsenz in der modernen Welt

Die Eigenschaften eines Vampirs sind in der Moderne genau festgeschrieben. Sie sind tot, bösartig, trinken Blut und sie sind fähig ab und zu eine menschenähnliche Gestalt anzunehmen. Oftmals sind sie aber Nachtwandler und somit in der Nacht aktiv. Es ist wichtig festzuhalten, dass der Vampir zwar unsterblich ist aber nicht unverwundbar und zudem nicht unbedingt aus Transsilvanien stammen muss.
Die Dominanz der Fledermaus ist auch ein sehr spät auftauchendes Merkmal. Dieses tritt ungefähr ab Ende des 18. Jahrhunderts erstmals in Erscheinung. Die Frage stellt sich aber, wo eine klare Verbindung hergestellt werden kann zwischen unseren heutigen literarischen und historischen Traditionen, wofür der Vampir genau steht? Was ihn als beliebtes Motiv im Zusammengang zu der Nacht wieder zum Leben erwecken lässt. Im Mittelalter in England gab es aber kaum Hinweise auf Vampire, die Rede war viel mehr von Hexen, Poltergeistern oder Teufelserscheinungen.
Zudem beschreibt Walter Map in De Nugis Curialium beispielsweise, wie Larvas, also gespenstische Kinder oder auch weibliche Vampire, die englischen Nächte unsicher machten. Hier haben wir zum ersten Mal den Zusammenhang zur Nacht. Sie machen schliesslich die Nacht und nicht den Tag unsicher. 

Warum wandeln Sie nicht am Tag?

Bei der Recherche über diese Verbindung zwischen den mythischen Wesen und der Nacht kamen kaum verwendbare Ergebnisse zum Vorschein. Dies liegt womöglich daran, dass dieser Zusammenhang bei möglichen Forschungen keine allzu grosse Priorität hat. Dies auch aufgrund, dass sich die Literatur-Forschung in diesem Fall mit „erfundenen“ Wesen auseinandersetzen müssen. Wenn sich die Forschung damit befasst, dann geht es ausschliesslich um die Wesen selbst und nicht warum sie „nur“ in der Nacht wandeln. Es liegt auf der Hand, dass der Vampir ohne Nacht nicht das Wesen ist, welches wir kennen. Trotzdem werden sie aber Kinder der Nacht genannt. Es sind Schattenwesen der Nacht und nicht des Tages. Dies kann den Ursprung darin haben, dass sie auch ein Mensch sind? Sie sind ein Hybrid, also Halbmensch und Halb-Anderswesen. Daher besteht die Möglichkeit, dass sie am Tag ein „normaler“ Mensch sind und sich am Abend in einen Vampir verwandeln. Eine mögliche Erklärung dazu könnte sein, dass die meisten Menschen in der Nacht schlafen und sich nicht draussen befinde. So ist die Nacht der perfekte Ort, wo sich Vampire oder andere mythische Wesen frei bewegen können. Es scheint in der „Fantasy“-Forschung ein Bereich noch nicht abgedeckt zu sein. Die Nacht hat etwas Mythisches und Mystisches zugleich. Eine hervorragende Voraussetzung für eine Schauergeschichte, wo der Aberglaube gut verankert ist. Die Vampire haben zudem auch den Ruf, dass sie sonnenunverträglich sind. Es ist denkbar, dass diese Eigenschaft ihnen erst später zugeschrieben wurde und dies in einer anderen Reihenfolge ablief. In neuern Darstellungen besitzen sie Gegenstände, wie Ringe, die sie dazu bringen können, sich auch am Tag in der Sonne oder einfach draussen zu bewegen (Vampire DiariesShadowhunters). Man muss aber immer beachten, dass Vampire eigentlich tot sind. Sie müssen, bevor sie zu Vampir werden sterben und Blut eines Menschen im Körper haben, um sich zu verwandeln zu können (von Erzählung zu Erzählung gibt es unterschiedliche Rituale, wie man zu einem Vampir wird). Trotzdem sollte man, wie Thorne erklärt immer noch beachten, dass es so etwas wie „echte Vampire“ gibt. Spannend ist, dass in der Dunkelheit etwas preisgegeben wird, dass am Tag verborgen bleibt, und soeben erst in der Nacht zum Vorschein kommt. In der Dunkelheit kann aber trotzdem auch vieles versteckt und in Unwissenheit bleiben. In Mythen und Geschichten umgewandelt können sie verarbeitet werden, und die Dunkelheit scheint der passende Ort zu sein. So lebt der Mythos von Jahrhundert zu Jahrhundert weiter.
Der Vampir bleibt ein Mythos. Ob es etwas wie ein Blutsauger gibt bleibt unerforscht und in der Schattenwelt der Nacht verborgen.

Quellen:
I can’t get no sleep. Eine kulturanthropologische Spurensuche in der urbanen Nacht. Gastvortrag von Dr. Michel Massmünster (07.05.2019).
Thorne, Tony (2002): Kinder der Nacht. Die Vampire sind unter uns. Berlin: Rüttem & Loenig.
Titelbild: unsplash.com