Verpasst die Schweiz gerade den grossen Tourismustrend?

Über 60 Prozent der Gäste geben «Natur und Landschaft» als Hauptgrund für ihre Schweiz-Reise an. So erstaunt, dass der Schweizer Tourismus die Reisemotive und Bedürfnisse der Eco-Travellers nur ungenügend versteht und das Potenzial für differenzierende Angebote vernachlässigt. Dies geht aus einem Positionspapier und den Erkenntnissen aus drei Veranstaltungen mit über 150 Tourismus- und Umweltfachleuten zum Thema «Chance Landschaft» hervor.

Die Schweiz ist ein Landschaftswunder. Und zwar nicht nur in vereinfachter Form der Naturbetrachtung, sondern in allen räumlichen Aspekten der Baukultur und der Biodiversität. Laut einer repräsentativen Umfrage von Schweiz Tourismus geben über 60 Prozent der Gäste «Natur & Landschaft» als Hauptgrund für ihre Schweiz-Reise an. Sie dominieren die Wahrnehmung unseres Landes. «Der Erhalt der Landschaftsqualität sollte folgelogisch das Fundament jeder Tourismusstrategie sein. Die Realität sieht jedoch anders aus», so Jürg Schmid, Verfasser der Studie.

Landschaftsvielfalt als Potenzial

Das Bundesamt für Umwelt hat die Tourismusexperten von Schmid Pelli & Partner mit der Entwicklung eines touristischen Positionspapiers «Chance Landschaft» beauftragt. Basierend auf der Tourismusstrategie des Bundes und dem Landschaftskonzept Schweiz dient dieses Dokument als Grundlage, um innerhalb der Branche einen Dialog über das Potenzial von Landschaftsqualitäten zu initiieren. In prägnanter Form werden die Bedeutung und Potenziale der Landschaft für den Schweizer Tourismus aufgrund von Reisetrends und Konsumentenanforderungen dokumentiert. Der Schwerpunkt liegt auf der Betrachtung der alpinen und ländlichen Destinationen. Das vorliegende und kostenlos beziehbare Positionspapier untersucht sieben zum Teil provokante Thesen. Anlässlich dreier Veranstaltungen in Chur, Thun und Montreux wurden diese mit über 150 Tourismus- und Umweltfachleuten diskutiert. Bekennend für diesen Meilenstein: diese Form des Dialogs wurde von vielen Teilnehmenden als erstmalig und hoch relevant bezeichnet.

Kostenloses Herunterladen der Studie «Chance Landschaft im Tourismus»

Naturnaher Tourismus: ein Trend wird verkannt

Naturnaher Tourismus (Eco-Travel) ist keine Nische, sondern ein global florierendes Geschäftsfeld mit attraktiver Kaufkraft. Denn laut Umfrage von booking.com beabsichtigen 74 Prozent aller 46-55-Jährigen in Zukunft nachhaltige Reiseentscheide zu treffen. «Der Schweizer Tourismus versteht aber die Reisemotive und Bedürfnisse der Eco-Travellers nur ungenügend und unterschätzt das Potential dieser neuen Eco-Lifestyle Reisenden. Er riskiert einen grossen globalen Reisetrend zu verpassen», lautet die Erkenntnis von Jürg Schmid, Schmid Pelli & Partner.

Mit Schutz lässt sich Geld verdienen

Dort wo die Landschaft am schönsten ist, da sind die Pärke sowie Gebiete des UNESCO-Welterbes. Ihr Schutz macht sie zu touristischen Attraktionen. Die Pärke nutzen das touristische Potenzial aber ungenügend.  Nur gerade 23 Prozent der Schweizer Naturpärke bieten spezifische Angebote für zahlungskräftige Gäste an. Die Vielfalt der Pärke ist aufgrund der zurückhaltenden Parktourismus-Kommunikation und der mangelnden Vernetzung mit den Tourismusdestinationen zu wenig bekannt. Es fehlt den Pärken an Vernetzung mit dem Tourismus. Die Folge: In Tourismuskreisen sind das Ansehen der Pärke und die Schutzbegeisterung nur mittelmässig.

Winter – Innovationsvakuum im Non-Skier Markt

Ski- und Snowboardfahren ist nach wie vor populär bei Schweizerinnen und Schweizern. Sanftere Bewegungsformen wachsen aber schneller. Während das Wandern laut Bundesamt für Sport durchstartet (+12.6 Prozent in den letzten 6 Jahren), stagniert das Skifahren (-0.5 Prozent). Nebst Wandern boomen in den Wintermonaten Schneeschuhlaufen, Skitouren und Langlauf. Die Innovations- und Investitionsbereitschaft in diesen Bereichen liegen auf tiefem Niveau. Der Fokus auf den Skimarkt ist zwar nach wie vor richtig, aber zu einseitig. Die Dominanz der Bergbahnen im Wintertourismus führt zur ungenügenden Erschliessung der Wachstumspotenziale im naturaffinen Non-Skier Markt.

Overtourism und Corona beschleunigen Trend zum «naturnahen Tourismus»

Die Pandemie hat uns die Verletzlichkeit des Planeten und die Bedeutung von Naherholungsräume und Landschaftsqualität schonungslos vor Augen geführt. «Die Wahrscheinlichkeit, dass Eco-Travel einen Wachstumsschub erfährt und zum neuen Lifestyle wird, erachten wir als gross», sagt Chantal Cartier, Co-Autorin der Studie. Wollen die Akteure der Landschaft und des Tourismus die Chance Landschaft packen, so braucht es vermehrt Wissensaufbau zu regional spezifischer Landschaftsqualität, Vernetzung der Akteure, und eine entsprechende Angebotsentwicklung. Landschaft mit ihren natürlichen und baukulturellen Werten ist von strategischer Bedeutung. Sie ist die einzige echte Differenzierung des Schweizer Tourismus.

Zum Video:

Titelbild: Blick von der herbstlichen Riederalp zum Aletschgletscher mit dem Wannenhorn im Hintergrund. @

Titelbild: «Natur und Landschaft» als Hauptgrund für die Schweiz-Reise – der Aletschgletscher (c) Jan Geerk, Schweiz Tourismus