Mit ihrem Debütroman nimmt Ivna Žic den Leser auf eine Reise in ihr Heimatland und durch die Zeit mit. Themen, wie Geschwindigkeit, Vielsprachigkeit und Identität prägen das Geschehen in der Erzählung. Sprachlich bewegt sich Žic mit diesem Debüt auf einem unbeschreiblichen Niveau.

Selina Meier

Eine junge Frau, wir kennen ihren Namen nicht, sitzt in einem Zug, der von Paris nach Zagreb fährt. Eine Reise, welche eher unfreiwillig scheint. In den Urlaub fährt sie nicht, sondern zu ihrer Familie.

Die Handlung an sich folgt nicht wirklich einem roten Faden, es sind mehr fragmentarische kleine Szenen, welche schlussendlich alle miteinander verbunden sind. Es ist ein Buch über Vielsprachigkeit und die Sprache selbst, welche eine Geschichte erzählt. Doch aber auch eine Geschichte über ein gebrochenes Herz und über Geheimnisse, so Žic über ihr eigenes Buch im BuchZeichen von SRF*.

Nach und nach erfährt man, dass sie eine wichtige Entscheidung bezüglich eines Mannes zu treffen hat. Einem verheirateten Mann. Zugleich erscheint ihr der tote Grossvater immer wieder während der Zugfahrt. Diese beiden Männer, weitere Verwandte und Freunde werden zu ihrem gedanklichen Begleiter auf dem Weg Richtung Heimat.

Žic erzählt von einer Suche, welche sich zugleich in der Vergangenheit, sowie in der Gegenwart und irgendwie auch in der Zukunft abspielt. So etwas ist nur in der Literatur möglich, was Žic auch selber sagt. Im Prinzip erfährt man nicht wirklich etwas, die Geschichte springt von einem Thema in ein nächstes und dadurch geht der roten Faden fast verloren. Durch Motive, wie das schwitzende und schnaubende Jelačic-Pferd, Geschwindigkeit und die Zugfahrt im Allgemeinen wird der Text aber zusammengehalten.

Warten, Geschwindigkeit, Fortbewegung, Zeitsprünge

Allgemein spielt die Autorin mit den verschiedenen Zeiten, sowie der Sprache. Es handelt sich nicht um „0815“-Belletristik, mehr um eine Art poetisch-szenische Erzählung. Sie spielt mit verschiedenen Metaphern, die den Leser zum Nachdenken bringen. Dies kommt vor allem daher, dass Teile der Erzählungen nicht ausgesprochen werden. Schnell kann man das Buch auf keinen Fall lesen, es ist ein Buch zum Nachdenken, Abschweifen und sich teilweise selbst in dem Zug sitzend wiederfinden.

Spannend ist ihre Verwendung der Sprache in Verbindung mit den zwei Nationalitäten, die sie in sich trägt. Dies kommt unter anderem in der Szene zum Vorschein, als sie sich entscheiden muss welchen Pass sie an der Grenze zeigen möchte und die Pässe zu ihr sprechen; „Der rote ruft, dass er mich schützt, dass er doch stärker sei und überall ohne Wimpernzucken durchkommt und der blaue schreit zurück, ich sei ja verrückt, an dieser Grenze den roten zu zeigen […]“. Zudem spielt auch die Formatierung des Buchs eine wichtige Rolle in der Rezeption, teilweise findet sich auf nur einer Seite wenige Worte, welche den Gedankengang darstellen.

Im Text finden sich aber auch viele schöne Stellen, die wie kleine Lebensweisheiten „einfach so“ dastehen.

Ein ungewöhnliches Abenteuer

Das Reisen und das Zugfahren stehen im Vordergrund, wobei man direkt in die Szene verfrachtet wird und das Gefühl hat, sich ebenfalls dort zu befinden. Kleine Wahrheiten über den Gebrauch von Rucksäcken oder wie es sich anfühlt, beim Schlafen in einem Zug, fühlt man sich richtig wohl auf den Seiten, bei einer ungewöhnlichen, aber angenehmen Stimmung. Liebe, Krieg und Identität prägen das Buch und mit diesen Themen wird eine Stimmung erzeugt, welche ganz nahe am Leser ist. Das Buch ist aber auch schwer vom Thema der Heimatlosigkeit geprägt. Da das Ich weder in der Schweiz noch in Kroatien wirklich zu Hause ist. Das Ich scheint keine wirkliche Zugehörigkeit zu fühlen. Dies spiegelt sich darin wieder, dass sie so viel unterwegs ist: Bus oder Zug sind ihre stetiger Begleiter. Zudem aber auch in der Tatsache, dass Kroatien noch nicht lange Kroatien heisst, lange unter Namenswechsel stand und die Geschichte des Landes auch einen Einfluss auf die Geschichte der Bewohner hat. Die junge Frau ist geprägt von der Vergangenheit Anderer.

Das Buch «Die Nachkommende» von Ivna Zic.

Ivna Žic. Die Nachkommende. Matthes + Seitz. 1. Auflage, 22.08.2019. 168 Seiten. ISBN: 978-3-95757-769-6. CHF 27.90.

* BuchZeichen, srf.ch: Ivna Žic zu Gast im Live-BuchZeichen vom 17.09.2019. Online verfügbar unter srf.ch.