«Kunst kennt keine Grenzen» – so lautet das Credo des Netzwerkprojekts IntegrART des Migros-Kulturprozent . Seit 2007 fördert IntegrART inklusive Bühnenkunst. Das Spektrum an Möglichkeiten für die Kulturschaffenden sowie das Publikum soll damit erweitert werden und die gesellschaftliche Utopie einer gelebten Inklusion auf der Bühne real werden. Chilitalk hat sich mit Isabella Spirig, der Gründerin von IntegrART, über die Ziele und die Werte von IntegrArt unterhalten.

Selina Meier

Diversity ist mehr als ‚nur‘ Gender und Migration

Isabella Spirig war in ihrem ersten Leben Tänzerin, wie sie selbst sagt. Sie gründete die Tanzgruppe ‘Las Tangueras‘. Im Tanz sieht Isabella eine unmittelbare Kunstform. «Tanz, ob du ihn nun selbst erlebst oder zuschaust, erreicht dich eher emotional und intuitiv als über den Verstand. Deswegen beschreibe ich ihn als unmittelbar, warum er mir auch sehr gefällt. Der Mensch wird direkt angesprochen. Viele Menschen sagen ‚ich verstehe den Tanz nicht’ und das ist es gerade, denn Verstand ist Ratio und es geht hier um das Erleben», sagt Isabella. Mit ‘Las Tangueras’ wollte sie Klischees aufbrechen und gesellschaftspolitische Anliegen auf die Schippe zu nehmen. «Ein Ziel war es sicherlich auch sich für Vielfalt einzusetzen», sagt Isabella. 

Heute wird zwar viel von Diversität gesprochen, meist bezieht sich diese aber auf Gender und Migration. Isabella setzt sich dafür ein, dass auch Menschen mit Behinderung inkludiert werden. «Menschen mit Behinderung bringen eine Vielfalt an Lebenserfahrung mit, wovon sich die gesamte Gesellschaft etwas abschauen kann», sagt sie. Als Fachexpertin für Tanz beim Migros-Kulturprozent trägt Isabella dazu bei, dass Menschen mit Behinderung Gehör verschafft wird.

© Johannes Dietschi

Doch was ist eigentlich IntegrART?

Dabei handelt es sich um ein Netzwerkprojekt von Migros-Kulturprozent, das die Mission Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in Kunst und Gesellschaft verfolgt. Das Migros-Kulturprozent ist ein freiwilliges Engagement der Migros, das in ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gründet. Es verpflichtet sich dem Anspruch, der Bevölkerung einen breiten Zugang zu Kultur und Bildung zu verschaffen, ihr die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft zu ermöglichen und die Menschen zu befähigen, an den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen zu partizipieren. 

‚Dream your Dreams‘

«Das Zielpublikum von IntegrART sind Herr und Frau Schweizer mit und ohne Behinderung», sagt Isabella. Sicherlich wichtig ist auch, dass bei Festivals Menschen mit Behinderung angesprochen werden, betont Isabella. «Empowerment findet ganz natürlich statt, wenn alle Menschen barrierefreien Zugang zu kulturellen Angeboten haben», erklärt sie weiter. «Dream your Dreams, egal mit welcher Voraussetzung, denn es ist viel mehr möglich, als die Gesellschaft sich eingesteht, und genau dafür stehen IntegrART und seine Partner*innen», sagt Isabella. 

Das Glas halb voll oder halb leer sehen?

Die Frage, was sich in den 14 Jahren seit Bestehen von IntegrART verändert hat, beantwortet Isabella je nach eingenommener Perspektive anders. «Wenn ich ich das Glas halb leer sehe, kann ich sagen, dass wir sicherlich noch viel vor uns haben und uns somit noch am Anfang der Entwicklung befinden. Sehe ich das Glas aber halb voll, ist in den vergangenen Jahren doch einiges passiert. Zum Beispiel prüfen heutzutage viele Förderstellen inklusive Gesuche vorbehaltslos, vor 20 Jahren war dies noch undenkbar. Zwar können Menschen mit Behinderungen noch immer keinen Bachelor einer Kunstausbildung machen, doch die Academia Dimitri in Verscio bietet seit dieser Saison einen CAS in «inclusiv performing Arts» an. Weiter gibt es an der ZHdK im Bachelor Contemporary Dance regelmässig inklusive Projektwochen, das ist auch eine Errungenschaft von IntegrART. Wir haben schon vieles erreicht, das gibt uns auch die Kraft weiterzumachen. Kleine Schritte sind auch Schritte», sagt Isabella. Auch viele jungen Menschen haben dank IntegrART Mut ihren Traum zu leben. Somit sagt sie abschliessend: «Wir haben viel erreicht, aber sicherlich auch noch viel Arbeit vor uns.»

© Raquel Alvarez

Ziele: Leadership und durchmischte Kommissionen

«Eines der noch zu erreichenden Ziele ist es, dass in alle kantonalen und städtischen Kommissionen, wo Gesuche behandelt und beurteilt werden, Fachexpertinnen und -Experten mit Behinderung eingeladen werden», sagt Isabella Das heisst, dass Menschen mit Behinderung mehr Führungspositionen einnehmen und durchmischte Kommissionen entstehen. «Dafür brauchen wir aber auch viele verbündete Menschen, nicht nur Menschen mit Behinderung. Sondern Menschen, die Achtsamkeit mit sich bringen», sagt Isabella. Somit kann die Inklusion vorangetrieben und «Menschen schmackhaft gemacht werden, dass Menschen mit verschiedenen Voraussetzungen zusammen Spannenderes kreieren als jede Gruppe für sich », sagt Isabella.

Isabella Spirig, © Caroline Minjolle

Wir bedanken uns herzlich bei Isabella Spirig für ihre Zeit und die Beantwortung unserer Fragen!

Quelle Titelbild: © Laila White