Vielen Computerspiele-Fans geht es nicht nur ums Monsterbekämpfen, sondern darum, spektakuläre virtuelle Fotos ihrer Lieblingsspiele zu schiessen. Ein Forscher der Hochschule Luzern hat die Verflechtung von Fotografie und Gaming untersucht. Die Resultate des Projekts sind ab dem 5. Juni 2021 in einer Ausstellung im Fotomuseum Winterthur zu sehen.

Die Rolle von Computerspielerinnen und -spielern ist normalerweise klar definiert: Rette die Welt vor bösen Mächten! Eliminiere alle Gegenspieler! Knack den Highscore! Doch in den letzten Jahren ist in vielen Spielen eine neue Aufgabe hinzugekommen, welche bei der Spieleentwicklung so ursprünglich gar nicht vorgesehen war: Schiesse das schönste Landschaftsfoto!

«Die Grafik in Spielen wird immer fotorealistischer», sagt Marco de Mutiis, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Luzern und Digital Curator am Fotomuseum Winterthur. «Damit gewinnen Landschaften in Spielen einen ästhetischen Wert als Sujets für digitale Fotografie, zusätzlich zur ursprünglich vorgesehenen Aufgabe als Kulisse für die Spiele-Handlung.»

De Mutiis untersucht die bisher wenig beachtete Verflechtung von Fotografie und Games. Seine Arbeit ist Teil des vom Schweizerischen Nationalfonds SNF finanzierten Forschungsprojekts «Post-Photography» der Hochschule Luzern und bildet auch die Basis für eine Ausstellung im Fotomuseum Winterthur. «Gaming und Fotografie sind in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch getrennt», erläutert der Forscher, obwohl mit der wachsenden Bedeutung von Spielen als Kulturgut die gegenseitige Beeinflussung zugenommen habe.


Künstler Roc Herms liess sich für seine «Study of Perspective» (rechts) aus dem Actionspiel GTA 5 von Ai Weiweis gleichnamiger Fotoserie inspirieren. Bildnachweise: Roc Herms, Ai Weiwei/neugerriemschneider

Island: unendliche digitale Weiten

Marco de Mutiis unterteilt die Beziehung zwischen Spiel und Fotografie in verschiedene Kategorien, die jeweils auf eine andere Facette dieser Wechselwirkung fokussieren. In der Kategorie «Game Travel» zum Beispiel geht es um die sogenannte In-Game-Fotografie: In-Game-Fotografinnen und -fotografen suchen in ihrem Lieblingsspiel nach dem perfekten Augenblick fürs virtuelle Landschafts- oder Städtefoto; die Spielregeln und -mechaniken interessieren sie dabei nicht.

Neu ist das Konzept der In-Game-Fotografie nicht, aber die Methoden seien in den letzten Jahren viel raffinierter geworden, so de Mutiis: «Früher reichte Spielern ein Printscreen des Geschehens. Heute gibt es ausgeklügelte Fotografie-Modifikationen, die es ihnen erlauben, die Kamera frei durch die Spielwelt zu bewegen, Fotofilter einzusetzen und Bilder nachzubearbeiten.» Die Nachfrage nach diesen Modifikationen ist so gross, dass viele Studios sie inzwischen mit dem Spiel mitliefern. Wo das nicht der Fall ist, programmieren die Fans sie selbst.

Welchen Stellenwert diese besondere «postfotografische» Praxis hat, illustriert de Mutiis am folgenden Beispiel: Ein befreundeter Fotograf sollte im Winter für eine Fotoreportage nach Island reisen. Doch Corona machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Aus der Not heraus kreiert er nun eine Reportage über die post-apokalyptische Welt von Death Stranding. Die Wahl ist nicht zufällig: Grundlage für die weitläufige Umgebung des Spiels bilden digitalisierte Aufnahmen aus dem echten Island. Für Gamedesignerinnen und -designer sind solche aufwändigen Projekte laut De Mutiis Gold wert. Die Fans machten dadurch schliesslich gratis Werbung für ihr Produkt.

Mit Kameras gegen Geister

In einer kleinen, aber wachsenden Anzahl Spiele ist das Fotografieren inzwischen nicht mehr nur eine Zusatzfunktion abseits von virtuellen Feuergefechten oder Schwertkämpfen, sondern das Hauptziel. Marco de Mutiis fasst sie in der Kategorie «Camera Play» zusammen. «Diese Spiele simulieren echte Fotografie in einer digitalen Umgebung», sagt er.

Im Spiel Pokémon Snap etwa gehen die Spielerinnen und Spieler auf Fotosafari. Ihre Schnappschüsse der titelgebenden Pokémon-Fabelwesen werden nach Objektgrösse und Bildausschnitt bewertet: je besser die Bilder, desto mehr Punkte gibt es. In der Horrorspiel-Reihe Fatal Frame wiederum findet sich die Heldin in einem verfluchten Anwesen wieder, wo sie von Geistern angegriffen wird, derer sie sich nur mittels Kamerablitz erwehren kann.

Auch abseits von Computerspielen ist die Bildproduktion zu einer Tätigkeit geworden, bei der man gewinnen oder verlieren kann, wie der Forscher die Kategorie «Game Play» verdeutlicht: Wer erhält auf Instagram die meisten Likes für einen fotografierten Sonnenuntergang? Wer schart als Influencer besonders viele Follower um sich? Marco de Mutiis: «Diese ‹Gamification› des Bildes hat ein eigenes sozioökonomisches System in den sozialen Medien erschaffen: Spiele nach den Regeln des Algorithmus und du wirst mit Likes und Followern belohnt.»

«How to Win at Photography» – Ausstellung im Fotomuseum Winterthur Die Ausstellung «How to Win at Photography – Image-Making as Play» im Fotomuseum Winterthur lädt die Besucherinnen und Besucher dazu ein, sich mit den spielerischen Aspekten der Fotografie zu beschäftigen. Kuratiert wird sie von Marco de Mutiis und Matteo Bittanti. Neben Exponaten aus dem Gaming-Bereich sind auch fotografische Arbeiten zu sehen, unter anderem von Ai Weiwei (China), Harun Farocki (Deutschland) und Cindy Sherman (USA). Die Ausstellung läuft vom 5. Juni bis 10. Oktober 2021. Das SNF-Projekt «Post-Photography» Smartphone-Selfies, Drohnen-gestützte Kameras, manipulierte Bildpixel – das Aufkommen digitaler Technologien hat auch die Fotografie umgewälzt. Jeder und jede ist heute Fotografin oder Fotograf. Ein Team der Hochschule Luzern untersucht im 2018 gestarteten Forschungsprojekt «Post-Photography», wie sich Konzepte des Fotografischen und fotografische Praktiken im Zeitalter der Digitalisierung verändert haben, sei das im Alltagsleben, in der Kunst oder in der Unterhaltungskultur – Computerspiele inklusive. «Post-Photography» sowie ein Spin-Off-Projekt stehen unter der Leitung von Dr. Wolfgang Brückle von der Forschungsgruppe Visual Narrative des Departements Design & Kunst. Der SNF unterstützt die beiden Projekte mit insgesamt rund 1 Million Franken.

Titelbild: Dorothée Elisa Baumann, Take a Better Picture, 2018 © Dorothée Elisa Baumann